Der SoMa-Roboter von Ocado könnte den Lebensmittelhandel nachhaltig verändern

Ocado hat seine Smart-Plattform an Supermärkte in Schweden und den USA verkauft. Erfahren Sie in unserer zweiteiligen Serie mehr über die Technologie, auf der das automatisierte Lager von Ocado basiert.


Schon bald könnten Roboter all Ihre Einkäufe einpacken.

Fortschritte in der Robotik und KI-Technologie machen es möglich, Aufgaben so zu automatisieren, wie es noch vor einigen Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre. Diese Technologien verändern unsere Welt und die Art, wie wir leben und arbeiten, bereits heute.

14 % der Jobs in den 32 OECD-Ländern sind laut der OECD-Studie „Automation, Skills Use and Training (Nedelkoska, L. und G. Quintini, 2018) weitgehend automatisierbar. Darüber hinaus ist bei 32 % der Berufe davon auszugehen, dass sich die Art ihrer Ausübung erheblich verändern wird, da eine wachsende Zahl von Aufgaben automatisiert wird.

Immer mehr Unternehmen möchten ihre Effizienz und Produktivität durch Investitionen in die Automatisierung steigern. Da stellen sich berechtigte Fragen über die Zukunft: Wie werden wir Roboter regulieren? Womit verbringen wir unsere Zeit, wenn unsere Arbeit von Maschinen erledigt wird? Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen die Lösung? Und schließlich: Wie können wir Roboter so entwickeln und einsetzen, dass sie zum Wohl der gesamten Gesellschaft arbeiten?

Zum Glück müssen wir die Antworten zu diesen Fragen nicht sofort finden. Aktuell ist es immer noch so, dass Roboter nur in eng definierten Kontexten operieren können. Da Intelligenz und Fähigkeiten in einem umfassenderen Sinne noch fehlen, sind es in den meisten Fällen ausgewählte Teiltätigkeiten, die automatisiert werden. Das zeigt auch die OECD-Studie.

Wir sehen dies bei kollaborativen Robotern („Cobots“), die in intelligenten Fabriken Zuarbeiten erledigen, und in Unternehmen, die maschinelles Lernen nutzen, um Daten in einem Maßstab zu modellieren, der die menschlichen Möglichkeiten übersteigt. Menschen überwachen diese Aktivitäten und übernehmen dabei eine Rolle, bei der Fertigkeiten gefordert sind, die sich nicht so einfach replizieren lassen. 

Die Cobots ergänzen und erweitern die menschlichen Fähigkeiten, und in vielen Fällen kommt das unserer Work-Life-Balance zugute. Außerdem entstehen neue Tätigkeiten, die strategisches Denken, Kreativität und Expertenwissen in Maschinenbau, Robotik und KI erfordern.

Roboter packen Ihre Einkäufe ein

Ocado ist der weltweit größte reine Online-Supermarkt. Das in Großbritannien ansässige Unternehmen ist führend im Bereich der Automatisierung.

Als Teil seiner Mission, das Einkaufen zu revolutionieren, hat Ocado viel Geld in die Erforschung und Entwicklung innovativer Technologien investiert, um die Effizienz zu erhöhen und seine Dienstleistungen zu verbessern.

Ocado Technology hat seinen Sitz im englischen Hatfield, 20 Minuten von London entfernt. Hier arbeiten rund 1.200 der 12.600 Mitarbeiter von Ocado. Das Unternehmen hat außerdem Niederlassungen in Spanien, Polen und Bulgarien.

Der Geschäftsbereich ist verantwortlich für die Entwicklung der Software und der Systeme, die der Online-Plattform für den Lebensmittelhandel zugrunde liegen. Das umfasst „Echtzeit-Steuerungssysteme und Robotik, Computervisionsysteme, maschinelles Lernen und KI, Simulation, Datenwissenschaft, Prognose- und Routing-Systeme, Inferenzmaschinen, Cloud, IoT, Big Data und mehr“.

Mit Ocado Engineering – der Geschäftsbereich, der sich mit innovativen Ingenieurs-, Konstruktions- und Logistiklösungen für die Customer Fulfillment Center beschäftigt – arbeitet Ocado Technology an der Ocado Smart-Plattform. Darüber hinaus ist Ocado Technology an den beiden EU-finanzierten Forschungs- und Innovationsprojekten SoMa und SecondHands beteiligt. Diese Projekte „verbinden moderne Robotik, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und führende Sensortechnologie, um menschliche Lagermitarbeiter zu verstehen und in Echtzeit zu unterstützen“.

Graham Deacon, Robotics Research Team Leader, Ocado

„Bei Ocado versuchen wir im Grunde, Roboter dazu zu bringen, beim Einpacken der Einkäufe zu helfen“, erklärt Graham Deacon, Teamleiter Robotics Research bei Ocado.

Graham Deacon kommt aus den Bereichen Technik, Philosophie und Psychologie. Der ehemalige Dozent für Robotik und Mechatronik an der University of Surrey arbeitete früher auch am maßgeschneiderten Einsatz von sensorgeführten Robotern in der Automobilindustrie und beschäftigte sich eine Zeit lang in den BBC Research Labs mit der Synthese neuer Ansichten aus mehreren Simultanbildern. Er war Teil eines Teams, das einen Roboter entwickelte, der Neurochirurgen assistiert, und er leitete ein Team, das ein Erkennungssystem für Nummernschilder betreute. Außerdem war er technischer Leiter eines Start-up-Unternehmens, das eine Lösung suchte, um mithilfe von Robotern Bleche zu falten.

Graham Deacon hat einen B.Sc. in Ingenieurswissenschaft der University of Warwick, einen M.Eng. in Steuerungstechnik der Sheffield University, einen M.A. in Philosophie des Geistes der Hull University und einen PhD in künstlicher Intelligenz der Edinburgh University.

Seit seinem Eintritt bei Ocado im Jahr 2010 hat Graham Deacon ein Robotik-Forschungsteam zusammengestellt und eine Reihe von Projekten zur Entwicklung von Robotern geleitet, die Einkäufe verpacken können.

Ocado hat unter anderem einen Roboterarm mit einem Saugnapf entwickelt, der verschiedene Objekte aufnehmen kann. Das Team arbeitet gerade daran, mit dem Roboter in Produktion zu gehen. Er arbeitet effektiv, ist aber in Bezug auf die Art der Objekte, die er aufnehmen kann, noch beschränkt.

„Wir gehen jetzt mit einer Lösung in Produktion, die einen Saugnapf verwendet. Jetzt können wir eine ganze Klasse von Objekten aufnehmen, die dieser Endeffektor bewältigen kam“, sagt Deacon. „[Aber] wir suchten nach einer Möglichkeit, Objekte zu handhaben, die verformbar sind, leicht beschädigt werden können und niemals dieselbe Form aufweisen.“

Graham leitet ein Teilprojekt im Rahmen des Forschungsprojekts SoMa. SoMa ist ein Projekt, das vom Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union finanziert wird. Ziel ist, herauszufinden, wie weiche Manipulatoren optimal zur Entwicklung von Manipulationsstrategien eingesetzt werden können, die Umweltwiderstände ausnutzen.

Das SoMa-Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen der Technischen Universität Berlin (TUB), der Universität von Pisa (UNIPI), dem Italian Institute of Technology (IIT), dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem Institute of Science and Technology Austria (IST Österreich), Ocado und Disney Research Zürich.

Ocado bringt ein anspruchsvolles Anwendungsszenario in das Projekt ein.

„Wir möchten alle möglichen Arten von Dingen aufheben können, einschließlich Obst und Gemüse“, so Graham Deacon.

„Am schwierigsten sind vielleicht die Dinge, die bereits verpackt sind. Wir verkaufen in der Regel Obst und Gemüse nicht stückweise. Die Ware ist in Plastikbeuteln verpackt. Es handelt sich gleichsam um teil-bewegliche Objekte. Und es gibt noch andere Dinge, die ihr Gewicht beim Anheben verlagern.

„Wenn Sie etwa eine Tüte mit Linsen oder Reis aufnehmen, verteilt sich die Hebelast neu, sie verändert sich im Grunde dynamisch.“

The SoMa project is exploring how best to use soft manipulators to develop manipulation strategies that exploit environmental constraints

SoMa interagiert mit seiner Umgebung und nutzt dabei physische Widerstände zur Orientierung, um die Objekte besser zu handhaben.

Das ist etwas, was wir selbst ständig tun. Wenn wir beispielsweise eine Kreditkarte von einem Tisch aufheben möchten, nutzen wir in der Regel die Tischoberfläche, indem wir unsere Handfläche auf der Karte platzieren, sie an die Tischkante ziehen und dann den Daumen darunter platzieren.

Dazu ist die weiche Manipulation (daher der Name SoMa) unverzichtbar – mithilfe einer weichen, unteraktuierten Hand, die sich an die Objekte anpasst. Auf diese Weise benutzen Menschen normalerweise ihre Hände, und Roboter, die dazu in der Lage sind, können Funktionen in dynamischen, variablen Umgebungen übernehmen.

Die fortschrittliche Technologie hat im Verlauf des Projekts eine Reihe von Änderungen durchlaufen:

„Eines der Merkmale der unteraktuierten Hände ist, dass sie zwar mehrere Freiheitsgrade haben, jedoch typischerweise nur ein oder zwei Steuerungsgrade“, erklärt Graham Deacon.  

„Die Hand des Pisa IIT hat beispielsweise Bowdenzüge, die wie Sehnen durch den Daumen und alle Finger laufen. Und sie machen jetzt Folgendes: Sie ziehen an dieser einen Sehne, und alle Finger schließen sich, sodass sich die Hand an die Form des Objekts anpasst. Wenn ein Finger auf einen Widerstand trifft, kann er sich nicht weiter schließen. Die anderen Finger nehmen die Kontraktion der Sehne auf.

„Es gibt also einen begrenzten Aktionsbereich für diese Elemente, und es geht darum, sie im Voraus so zu konfigurieren, dass die gewünschten Objekte aufgenommen werden können. Wir haben bereits Experimente mit den Händen und den für uns interessanten Objekten gemacht – Obst- und Gemüse – und haben herausgefunden, unter welchen Bedingungen es gut funktioniert und wo es nicht so gut funktioniert. Dieses Feedback haben wir an die Leute weitergegeben, die die Hände entwickeln. Sie haben dann Versionen entwickelt, die sich besser für unsere spezifische Anwendung eignen.“

Weil es so komplex ist, Roboter solche Objekte greifen zu lassen, musste Deacons Team bei Ocado viele Experimente unter realen Bedingungen durchführen:

„Eine der Herausforderungen für das SoMa-Projekt besteht darin, die Operationen der Hände zu charakterisieren. Daher haben wir mit den Händen viele reale physische Experimente für unseren Anwendungsfall durchgeführt. Viele Unternehmen setzen auf Simulationen, um das Verhalten von Systemen vorherzusagen. Es ist jedoch sehr schwierig, die Dynamik von Kontakten für Simulationen zu modellieren. Und bei der unteraktuierten Hand wissen wir nicht einmal, zu welchen Kontakten es kommen wird. Daher ist es nicht sehr sinnvoll, dies zu simulieren. Das ist schade, denn es würde uns viel Zeit sparen.

„So mussten wir uns auf praktische Experimente in der realen Welt konzentrieren, um zuverlässige Ergebnisse zu erhalten.“

Das Projekt ist nun zu drei Vierteln abgeschlossen und läuft noch ein weiteres Jahr, in dem das Team an der Integration der verschiedenen Technologien arbeitet, die es entwickelt hat:

„Nachdem es uns gelungen ist, die Hände zu charakterisieren, können wir diese Informationen zur Leistung tatsächlich nutzen und sie dem Planer zur Verfügung stellen. Dann kann der Planer die Parameter für die Hand auswählen, um den bestmöglichen Betrieb für eine bestimmte Situation zu erzielen.

„Der Planer wird hauptsächlich von der Technischen Universität Berlin entwickelt, mit Input vom Italian Institute of Technology. Das Kamerasystem nimmt die Szene auf, der Planer ermittelt, was wir tun müssen, der Planer teilt dem Roboter mit, was er zu tun hat. Wir setzten dann alles um und lassen den Roboter Dinge aufnehmen.

„Wir kommen also an den Punkt, an dem wir alle Ergebnisse integrieren und versuchen, etwas Nützliches daraus zu machen.“

Die Technologie, die als Teil des SoMa-Projekts entwickelt wurde, bietet ein breites Anwendungsspektrum. Roboter, die in dynamischen, sich verändernden Umgebungen mit Objekten interagieren und diese bearbeiten können, haben großes Potenzial.  

„Für uns ist es selbstverständlich, dass wir Dinge aufnehmen und damit arbeiten können. Es ist wirklich schwierig, einem Roboter diese für uns einfachen Dinge beizubringen. Und ich versuche immer noch herauszufinden, wie ich einen Roboter dazu bekommen kann, dieselbe Art von Fertigkeiten und Leistungen zu erreichen, die Menschen jeden Tag zeigen.“

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