Ethernet erweitert seine Reichweite auf Sensoren und Aktoren in der Industrieautomation durch SPE-Netzwerktechnologie

Der industrielle Fertigungssektor hat sich in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. Die Produktionsanlagen, dezentrale Steuerungen und Analysesysteme sind vernetzt. In der industriellen Netzwerkumgebung dominiert Ethernet als Backbone-Netzwerk. Ein Mix aus seriellen Low-Speed-Bus-Protokollen bildet die Verbindungen zur Betriebstechnik (OT), die in den Industrieanlagen eingesetzt wird. Die gleichzeitige Verarbeitung mehrerer Netzwerkprotokolle ist eine Herausforderung und für moderne IIoT-Systeme, wie z. B. die Bildverarbeitung, für Echtzeitanwendungen mit hoher Bandbreite nicht mehr geeignet. Dieser Artikel beschreibt die jüngste Entwicklung von Single Pair Ethernet und wie das Ethernet-Protokoll eine Verbindung von den IT-Systemen des Unternehmens bis hin zum OT-Edge herstellen kann.

Vernetzung der Maschinen und Anlagen

Unter dem Stichwort Industrie 4.0 wurde und wird die komplette industrielle Fertigung umgekrempelt. Wenn es darum geht, die allgemeine betriebliche Effizienz eines Prozesses oder einer Anlage zu verbessern, ist das Sammeln von Daten von größter Bedeutung. Das Timing ist oft entscheidend für den Erfolg vieler Dinge im Leben, und das war sicherlich der Fall, als Industrie 4.0 mit dem Konzept des Internets der Dinge (IoT) verbunden wurde. Das IoT bzw. das Industrial IoT (IIoT) war eine datentechnische Ergänzung zur Verbindung von Motoren, Sensoren, Aktoren und vielen anderen Steuergeräten eines automatisierten Prozesses.

Gleichwohl ist es kein neues Konzept, Steuerungssysteme und Komponenten miteinander zu verbinden. Die seriellen Netzwerkprotokolle wie Profibus, RS232/422 und Modbus werden seit mehr als 40 Jahren in der Industrie verwendet. Die Schnittstelle zwischen den IT-Systemen des Unternehmens wurde zu einer komplexen Aufgabe für spezielle Gateways und Server.

Das Ethernet-Vermächtnis

In der IT hat sich seit den 80er Jahren vieles verändert. Anfangs war es kompliziert, einzelne Computer miteinander zu verbinden, und viele proprietäre Netzwerkprotokolle konkurrierten um die Vorherrschaft. Stark durchgesetzt haben sich letztendlich die auf Ethernet basierenden Protokolle. Der verbreitete Quasi-Netzwerkstandard ist IEEE 802.3.

Abbildung 1 zeigt, wie sich die Bandbreite von Ethernet seit seiner Ratifizierung als 802.3 entwickelt hat.

Abbildung 1 – Entwicklung der Ethernet-Geschwindigkeit – (Quelle: Ethernet Alliance)

Mit der Weiterentwicklung von Ethernet und der seiner Flexibilität, Belastbarkeit und Anwenderfreundlichkeit eroberte der Ethernet-Standard auch schnell neue Anwendungsgebiete außerhalb der ursprünglichen Einsatzzwecke. Mittlerweile ist Ethernet auch ein brauchbarer Standard zur Vernetzung von Fahrzeugen und für die Gebäudeautomatisierung geworden. Industrielle Ethernet-Anpassungen bieten Echtzeit, deterministisches Time-Sensitive Networking (TSN) und die Fähigkeit, mehrere Legacy-Protokolle zu transportieren, was für die Automatisierung gebraucht wird.

Anforderungen an industrielle Netzwerke

Die industrielle Umgebung unterscheidet sich von den meisten Büros und Rechenzentren. Die standardmäßige RJ45-Anordnung mit vier Twisted-Pair-Leitern, die fürs Büro und den Hausgebrauch benutzt werden, ist für den industriellen Einsatz nur bedingt geeignet. Netzwerkkabel und Steckverbinder, die Produktionsanlagen und Sensoren mit Steuerungssystemen verbinden, müssen rauen Betriebsumgebung und mechanischen Belastungen widerstehen. Schutz vor Umwelteinflüssen wie dem Eindringen von Staub und Feuchtigkeit sowie Vibration sind erforderlich. In industriellen Schaltschränken mit begrenztem Platzangebot ist die Gerätedichte hoch, und die Kabel müssen sehr flexibel sein und einen engen Biegeradius zulassen. Auch der Schutz von Kabeln in Metallrohren führt zu Einschränkungen bei den verwendeten Kabelgrößen.

Die rasante Zunahme des Einsatzes von intelligenten, Edge-basierten IIoT-Geräten erfordert eine Stromversogung zusätzlich zur kabelgebundenen Konnektivität. Ethernet bietet eine Power-over-Ethernet-Fähigkeit (PoE), aber die Dicke, das Gewicht und die Kosten für die Installation eines herkömmlichen achtadrigen Ethernet-Kabels schließen dessen Verwendung aus.

Single Pair Ethernet; die perfekte Wahl für industrielle Anwendungen

Der Gigabit-Single-Pair-Ethernet-Standard (SPE), IEEE 802.3bp 1000BASE-T1, wurde 2019 eingeführt. Es besteht aus einem verdrillten Zweileiterkabel. Die maximale Übertragungsdistanz beträgt 15 Meter bei ungeschirmten Kabeln und 40 Meter bei geschirmten Kabeln. Im Vergleich zu einem normalen achtadrigen CAT-6 Ethernet-Kabel mit AWG 23-Leitern ist ein SPE-Kabel 60 % leichter und hat einen deutlich geringeren Durchmesser. Da der RJ45-Stecker für den industriellen Einsatz weniger geeignet ist, wurde nach anderen geeigneten Steckerformaten gesucht, die in einen Industriestandard überführt werden könnten. Im März 2020 wurde die IEC 63171 Steckernorm für SPE angekündigt.

In IEEE 802.3bu ist ein Standard für die Stromversorgung definiert, der als Power over Data Line (PoDL) bezeichnet wird. Neun Klassen von Strom- und Spannungskombinationen ermöglichen eine maximale Leistung von 50 Watt für das Endgerät. Die jüngste Überarbeitung des PoDL-Standards, 802.3cg, fügt sechs Klassen hinzu (siehe Abbildung 2), die eine maximale Leistung von 52 Watt an die Last vorschreiben. Die Norm unterstreicht auch die Notwendigkeit eines geringfügig größeren Leitungsdurchmessers und legt den maximalen Leitungswiderstand fest, um die höchste Leistungsübertragung zu erreichen.

Abbildung 2 – Die IEEE 802.3cg-Stromversorgungsklassen 10 – 15 (Quelle Ethernet Alliance)

Die Normen IEC 63171-1 bis 63171-6 definieren eine Gruppe von SPE-Steckerformaten – siehe Abbildung 3. Sie ermöglichen eine getrennte Stromversorgung und eine Stromversorgung über die Datenleitung, Schutz gegen das Eindringen von Staub und die Verwendung von geschirmten oder ungeschirmten Kabeltypen. Robuste Rundsteckverbinder der gängigen Typen M8 und M12 mit Schutzklasse IP65/67 sind im Programm.

Abbildung 3 – Beispiele verschiedener Single-Pair-Ethernet-Steckerformate gemäß IEC 63171 (Quelle: Harting & Single Pair Ethernet Industrial Partner Network)

Single-Pair-Ethernet; stellt eine stabile Netzwerkverbindung vom Rechenzentrum zu den industriellen Endpunkten bereit

Das bewährte Ethernet ist die Basis für ein robustes und zuverlässiges Unternehmensnetzwerk. Die darauf aufbauenden Standards IEEE 802.3bp Single Pair Ethernet und IEC 63171 SPE normieren Steckverbinder und Kabelaufbau incl. Stromversorgung für längere Übertragungsstrecken bei hoher Datenrate. Die Verwendung eines einzigen Netzwerkprotokolls vereinfacht die Komplexität der Netzwerkinfrastruktur und die Kosten erheblich.

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