Sicherheit auf See im Jahr 2023 − Ein Überblick über die Sicherheitsmassnahmen und -bedrohungen

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Die Welt wird immer digitaler und vernetzter. Das trifft auch auf die Unternehmen zu, die durch die Automatisierung von Prozessen, der Bereitstellung von Echtzeitdaten und der vorausschauenden Wartung nicht nur ihre Effizienz steigern, sondern auch Kosten sparen können. Allerdings steigt mit dieser hochentwickelten Technologie auch das Risiko eines Cyberangriffes. 

Anlässlich des Weltschifffahrtstagsam 28. September schauen wir uns an, wie elektrische Sicherheitstechnik und digitale Technologien die Schifffahrt sicherer und gleichzeitig aber auch anfälliger für Cyberangriffe machen. Nachdem wir in einem früheren Beitrag bereits über KI in der Schifffahrtsindustrie berichtet haben, werfen wir in diesem Artikel einen Blick auf die Sicherheit in der maritimen Industrie und wie diese durch aktuelle Trends, wie digitale Zwillinge und der elektrischen Sicherheitstechnik verbessert werden kann. Natürlich werden wir uns in diesem Beitrag auch mit den Risiken beschäftigen, die diese Technologien bergen. 

Verbesserungen in der Sicherheit in der Schifffahrt

Auch 2023 spielt die Sicherheit auf See eine grosse Rolle. Dank verbesserter Technologie, verbessertem Schiffsdesign und strengerer Regulierung, konnte die Zahl der Schiffsverluste in den letzten 30 Jahren laut der Allianz Schifffahrtsstudie 2023 von über 200 auf 38 Schiffe im Jahr 2022 verringert werden. 

Abbildung 1: Zahl der Schiffsverluste in den letzten zehn Jahren. Quelle: Allianz

Während die Zahl der Schiffsverluste kontinuierlich sinkt, ist die Zahl der Schiffsunfälle mit 3.032 verunfallten Schiffen im Jahr 2022 auf konstant hohem Niveau. Maschinenschäden oder -ausfälle sind die Hauptursache für Zwischenfälle auf See und machen fast die Hälfte der Gesamtzahl aus, während in den letzten fünf Jahren insgesamt 64 Schiffe durch Brände verloren gingen.

Zwar ist das vorrangige Ziel der Schifffahrt nachhaltiger zu werden − so hat die Weltschifffahrtsorganisation (IMO) verbindliche Klimaziele vereinbart, um bis 2050 Netto-Null zu erreichen −, aber auch die Sicherheit auf See ist für die maritime Industrie wichtig. Mit hochentwickelten Technologien sollen Zwischenfälle auf See in Zukunft vermieden werden. Welche das sind, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Elektronische Sicherheitstechnik für die Sicherheit auf See

Strenge Sicherheitsmassnahmen sind für den Schutz der Meere, der Besatzung und den Schutz von Waren und Gütern erforderlich. Deutliche Verbesserungen in der elektronischen Sicherheitstechnik in den letzten Jahren haben die Art und Weise, wie die Besatzungen navigieren und auf Notfälle reagieren, völlig verändert. Einige davon sind:

Notfunkbaken (EPIRBs)

EPIRBs bieten eine schnelle und präzise Möglichkeit, Rettungskräfte zu benachrichtigen, wenn jemand in Schwierigkeiten ist, was die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Rettung erheblich erhöht. Moderne EPIRBs sind mit fortschrittlicher Technologie ausgestattet, insbesondere mit GPS-Integration, die im Gegensatz zur herkömmlichen Methode über Satellitensysteme bei Notfällen genaue Standortkoordinaten liefert. Das automatische Identifikationssystem (AIS), das in einigen EPIRBs zu finden ist, ermöglicht es auch umliegenden Schiffen, Notsignale zu empfangen und bei Rettungsmassnahmen zu helfen. 

Automatische Identifizierungssysteme (AIS)

Wie bereits erwähnt, können Schiffe mit Hilfe von AIS-Systemen Informationen mit anderen Schiffen austauschen. Die Identität eines Schiffes, seine Position, sein Kurs und seine Geschwindigkeit werden ständig übermittelt. Diese Datenübertragung in Echtzeit verbessert das Situationsbewusstsein sowohl der Schiffsbetreiber als auch anderer Schiffe in der Nähe erheblich, wodurch das Unfallrisiko gesenkt und die Navigationssicherheit erhöht wird.

Mensch-über-Bord-Systeme (MOB)

Einer der schwerwiegendsten Notfälle auf See ist, wenn eine Person über Bord geht. Beim Auffinden der über Bord gegangenen Person helfen MOB-Systeme, bei denen ein kleiner Sensor am Körper getragen wird. Entfernt sich der Sender zu weit von der Basisstation, ist davon auszugehen, dass die Person sich nicht mehr an Bord befindet und ein Alarm wird ausgelöst. Die Systeme übermitteln der Crew dann sofort die GPS-Position, sodass die in Not geratene Person schneller gefunden werden kann. 

Brandmeldesysteme

Die teuerste Ursache für Schiffsversicherungsansprüche ist Feuer. 2022 wurden über 200 Brände auf See gemeldet, die höchste Zahl seit einem Jahrzehnt. Elektronische Brandmeldesysteme scannen kontinuierlich verschiedene Bereiche des Schiffes auf Brandindikatoren wie Rauch oder steigende Temperaturen. Damit bei einem Feuer sofort reagiert werden kann, werden Feuermelder in das zentrale Überwachungssystem des Schiffes integriert. 

Kollisionsvermeidungssysteme

Kollisionsvermeidungssysteme sind ein wesentlicher Bestandteil der Sicherheit im Seeverkehr. Sie nutzen zahlreiche Spitzentechnologien wie Radar, Lidar, Sonar und Kameras, um die Umgebung eines Schiffes zu überwachen und die Besatzung mit Echtzeitdaten zu versorgen, damit sie Entscheidungen zur Vermeidung von Kollisionen treffen können. Durch den Einsatz von KI und maschinellen Lernalgorithmen können diese Systeme ein verbessertes Situationsbewusstsein, automatische Warnungen und Unterstützung bei der Navigation bieten, insbesondere unter schwierigen Bedingungen. 

Digitale Zwillinge

Wie andere Sektoren, nutzt auch die maritime Industrie digitale Zwillinge. Sie helfen bei der Steigerung der Effizienz und sorgen auch für mehr Sicherheit, da mit ihnen Schiffssimulationen durchgeführt werden. Digitale Zwillinge sind computergestützte Nachbildungen eines physischen Objekts, die es ermöglichen, Design- und Sicherheitsverbesserungen vorzunehmen, ohne tatsächlich mit der Arbeit beginnen zu müssen. Sie werden mit einer Kombination aus Sensoren, Datenerfassung und hochentwickelten Modellierungswerkzeugen erstellt und können bei folgenden Aufgaben helfen: 

  • Design und Prototyping − Digitale Zwillinge werden verwendet, um Schiffsentwürfe zu simulieren und zu verbessern. Bevor das eigentliche Schiff gebaut wird, können durch die Entwicklung eines virtuellen Schiffsmodells eventuelle Konstruktionsprobleme frühzeitig erkannt, die Leistung verbessert und die Einhaltung von Sicherheits- und Umweltvorschriften gewährleistet werden.
  • Ausbildung und Entwicklung − Um ihre Fähigkeiten zu entwickeln und sich auf Probleme in der realen Welt vorzubereiten, können die Besatzungsmitglieder an realistischen Simulationen teilnehmen, die eine Vielzahl von Szenarien nachstellen, von der Navigation unter schwierigen Wetterbedingungen bis hin zu Notfallmassnahmen.
  • Vorausschauende Wartung − Digitale Zwillinge verfügen über Sensoren, die den Zustand vieler Bordsysteme, wie Motoren, Antrieb und Navigationsinstrumente ständig überprüfen. Mithilfe dieser Echtzeitdaten, können Wartungsprognosen aufgestellt werden, um Pannen und Unfälle zu vermeiden.
  • Notfallmassnahmen − Digitale Zwillinge liefern Echtzeitdaten über den Zustand und die Bedingungen des Schiffes, auch bei Notfällen auf See. Diese Informationen ermöglichen es den Betreibern, fundierte Entscheidungen über Evakuierung und Schadensbegrenzung zu treffen und mit Behörden und Rettungsteams in Kontakt zu treten.

Digitale Zwillinge sind eine effektive Technologie für zahlreiche Anwendungen in der maritimen Industrie, insbesondere im Bereich der Sicherheit. Die Technologie ermöglicht eine bessere Sicherheit in Bezug auf Konstruktion, Ausbildung und Wartung und liefert gleichzeitig Informationen, die den Einsatzkräften eine schnellere Reaktion auf Notfälle ermöglichen. Nicht nur die maritime Industrie profitiert von digitalen Zwillingen.

Cyberangriffe: Die grösste Bedrohung für die maritime Industrie?

Trotz aller innovativen Technologien, die derzeit zur Verbesserung der Sicherheit auf See eingesetzt werden, bleiben einige Sicherheitsbedenken bestehen, vor allem was Cyberangriffe betrifft. 

Mit der zunehmenden Vernetzung der Welt wird die Cybersicherheit zu einem immer wichtigeren Thema. Denn wie in Abbildung 2 zu sehen ist, gehören Cyberangriffe 2023 weltweit zum grössten Geschäftsrisiko. Das gilt, angesichts der zunehmenden Einführung von KI- und IoT-Technologien in der Schifffahrt, auch für die maritime Industrie. Hacker können die Sicherheit von Schiffen, Besatzungen und Ladungen gefährden, indem sie in die verschiedenen Systeme eindringen, mit denen Schiffe arbeiten. Im Jahr 2017 wurde das dänische Schifffahrts- und Logistikunternehmen Maersk Opfer eines verheerenden Cyberangriffs, der dem Unternehmen einen Schaden von rund 300 Millionen US-Dollar zufügte.

Hacker können vertrauliche Daten stehlen, Navigationssysteme stören oder die externe Kommunikation des Schiffes zerstören und damit sowohl die Besatzung als auch das Unternehmen gefährden. Deshalb gibt es zahlreiche Vorschriften von regionalen und nationalen Organisationen, aber auch von der EU und der IMO, die Schiffseigner dazu verpflichten, Cybersicherheitssysteme zu installieren.

Abbildung 2: Die grössten Geschäftsrisiken für Unternehmen weltweit im Jahr 2023. Quelle: Allianz

Arten von Cyberangriffen in der maritimen Industrie 

Es gibt eine umfangreiche Liste von Cyber-Bedrohungen, vor denen sich die maritime Industrie schützen muss. Einige dieser Risiken sind: 

Unterwanderung von Navigationssystemen

Schwachstellen in Navigationssystemen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit auf See dar. Hacker können Navigationsinstrumente wie das Global Positioning System (GPS) oder elektronische Kartenanzeige- und Informationssysteme (ECDIS) angreifen, was schwerwiegende Folgen haben kann. Wenn ein Cyberangriff die von einem Schiff empfangenen GPS-Daten manipuliert, kann dies zu einer falschen Positionierung führen. Das könnte dazu führen, dass Schiffe unwissentlich von ihrer geplanten Route abweichen und in Sperrgebiete eindringen, auf Grund laufen oder mit anderen Schiffen zusammenstossen.

Störung der Kommunikation

Eine weitere grosse Bedrohung ist die Störung wichtiger Kommunikationsnetze, was Notfalleinsätze erschwert und somit Menschenleben gefährden kann. In Notsituationen sind Schiffe auf Notsignalmittel wie Funkgeräte und Satellitenkommunikationssysteme angewiesen, um Behörden und andere Schiffe in dem Gebiet zu alarmieren. Durch einen Cyberangriff, der diese Systeme stört, können sich Rettungsmassnahmen verzögern, was wiederum eine Gefahr für die Besatzung sein kann.

Eine effiziente Koordinierung mit den Seebehörden, der Küstenwache und anderen Schiffen ist von entscheidender Bedeutung, insbesondere in Notsituationen. Cyberangriffe können die Übermittlung wichtiger Informationen, das Anfordern von Hilfe oder die Aktualisierung der Lage des Schiffes erschweren.

Fernsteuerung von Systemen

Cyberkriminelle und Hacker können unrechtmässig die Kontrolle über die Kontroll- und Navigationssysteme eines Schiffes erlangen und so Kursänderungen vornehmen, womit sich das Risiko eines Zusammenstosses erhöht. Andere Systeme, die manipuliert und sogar deaktiviert werden können, sind Alarmanlagen und Brandschutzsysteme.

Datenmanipulation

Die Datenerfassung und -übermittlung ist ein entscheidender Teil des Schiffsbetriebs, der es der Besatzung ermöglicht, wirksame Entscheidungen und Massnahmen zu treffen. Wenn sich Hacker unbefugt Zugang zu diesen Daten verschaffen, können sie sie manipulieren und die Besatzung zu unsicheren Entscheidungen verleiten, die sie selbst, die Schiffe und ihre Ladung in Gefahr bringen können. Beispiele hierfür sind: 

  • Sicherheit der Fracht: Cyberangriffe, die die Daten der Frachtverfolgung verändern, können dazu führen, dass die Betreiber falsche Informationen über den Standort, die Temperatur oder den Zustand ihrer Fracht erhalten. Dies kann die Sicherheit der Besatzung oder des Schiffes durch Beschädigung, Verderb oder Verlust der Ladung gefährden.
  • Wetterinformationen: Planung und Sicherheit einer Fahrt hängen stark von den Wettervorhersagen ab. Cyberangriffe, die meteorologische Daten verfälschen, könnten zu falschen Entscheidungen über die Umleitung, die Anpassung der Geschwindigkeit oder die Suche nach Schutz vor Stürmen führen und das Schiff gefährden.
  • Leistungsmetriken: Die Aufrechterhaltung eines sicheren Betriebs erfordert genaue Daten zur Schiffsleistung. Die Manipulation von Leistungsdaten kann aufgrund falscher Wartungsentscheidungen oder Betriebseinstellungen zu Motor- oder Geräteausfällen führen.

Wie Sie sehen, können Cyberangriffe erhebliche Sicherheitsrisiken darstellen − und die oben genannten sind nur einige Beispiele. Um Schiffe und ihre Ladung zu schützen, müssen Reedereien und Unternehmen hochentwickelte Cybersicherheitstechnologien und -lösungen in ihre Schiffe integrieren. 

Laut der DNV-Studie zur maritimen Cybersicherheit ist dies eine der Prioritäten der maritimen Fachleute im Jahr 2023. Für die Studie wurden 800 Fachleute aus führenden maritimen Organisationen wie der US-Küstenwache, der Hamburger Hafenbehörde und Stena Drilling befragt. 

Diese Fachleute prognostizieren, dass Cyberangriffe in den nächsten Jahren einige schwerwiegende Vorfälle verursachen werden. In Abbildung 3 sehen Sie, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die jeweilligen Vorfälle ist.

Abbildung 3: Die Wahrscheinlichkeit, dass Cyberangriffe die folgenden schwerwiegenden Vorfälle verursachen. Quelle: DNV.

Wie sieht die Sicherheit auf See in der Zukunft aus?

Im Jahr 2023 ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Sicherheit in der Schifffahrt sehr ausgeprägt, aber es gibt immer noch einige Sicherheitsbedenken. Das betrifft zum einen neu Technologien selber, wie zum Beispiel alternative Kraftstoffe, da diese relativ ungetestet sind und durch die Verbrennung und den Transport, Sicherheitsrisiken entstehen könnten. 

Zum anderen betrifft das die Cybersicherheit und die Anfälligkeit der Systeme für Cyberangriffe. Allerdings ist man sich dieser Risiken bewusst und versucht denen mit Vorschriften zu Cybermassnahmen entgegen zu wirken. Wenn Schifffahrtsunternehmen sicherere Systeme mit ausgefeilteren Zugangspunkten einrichten können, lässt sich das Risiko verringern. Es ist jedoch wichtig, dass man den neuen Technologien immer einen Schritt voraus ist und alle damit verbundenen Risiken kennt, bevor man sie einführt. Auch wenn sich die Sicherheit im Laufe der Jahrzehnte deutlich verbessert hat, muss sie immer noch auf dem Radar aller Beteiligten in der Branche sein, um die Sicherheit der Fracht, der Schiffe und der Besatzung zu gewährleisten und den Ruf der Reedereien und Unternehmen zu schützen. 

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